SCHLEIM-KEIM Interview mit Hagen und Lippe Teil 1

Als Otze im April 2005 plötzlich mit nur 41 Jahren in der psychiatrischen Klinik in Mühlhausen starb, schien das Schicksal von SCHLEIM-KEIM - der grössten und kultigsten ostdeutschen Punk-Band - für immer besiegelt. Aber danach traten plötzlich Leute auf den Plan, die massenhaft SK-Artikel auf den Markt werfen, Behauptungen werden in den Raum geworfen, bewusst Gerüchte gestreut und mit moderner Technik massenhaft verbreitet, ohne überhaupt die Zusammenhänge zu kennen. Was liegt da näher, als einmal die letzten verbliebenen Originalmitglieder von SK zu fragen, die eigentlich wissen müssen, was damals mit der Band abging. Hagen und Lippe, beide aus Gotha, haben die wichtigen Alben nach der Wende "Abfallprodukte der Gesellschaft" und die Live-Scheibe "Mach dich doch selbst kaputt" mit Otze eingespielt, Lippe schwingt auch auf der kompletten "Nichts gewonnen, nichts verloren Vol. 2 LP/CD die Knüppel sowie auf der 1. EP "Schwarz-Rot-Gold - nie gewollt".
Los geht's:

SK treten ja wieder auf, wie kam es dazu?
Hagen: Viele Nachfragen! Der Anlass war das Buch vom Frank Willmann, er hat uns ja auch für die Recherche an seinem Buch kontaktiert, ein Interview mit uns gemacht. Der Ansatz war, daß wir bei der Buchpräsentation in Gotha zwei, drei Lieder spielen. Da ist halt ein bisschen mehr draus geworden.
Aber wir wollen nicht zu oft spielen, nur auf Anfrage. Es geht nicht darum, neue Lieder zu schreiben, das wäre Unsinn. Die Sache ist nicht ausbaufähig.
Es stehen Sachen im Raum, wo es um den letzten Auftritt beim Open-Air bei Wandersleben geht, im Sommer '95 in der Nähe von Gotha. Ihr hättet Otze im Stich gelassen. Wie kam es zum Auftritt und was ist da alles vorgefallen?
Lippe: Da haben etliche Bands hier aus Gotha und Umgebung gespielt, organisiert hat das ganze noch Steffen "Glocke" Glöckner. Wir wurden halt auch gefragt und haben zugesagt. Wir haben uns nachmittags schon getroffen, SK sollte wie so oft als letztes spielen, was wir natürlich nicht wollten. Sonnenschein ohne Ende, den ganzen Tag Freibier, abends auf der Bühne waren wir ziemlich angeschlagen, aber Otze hatte natürlich wieder voll übertrieben. Der kam auf die Bühne, konnte keine Gitarre mehr stimmen, keinen Überblick mehr gehabt, zum Bier noch gewisse andere Sachen dazu genommen. Ein oder zwei Lieder sind zustande gekommen, aber auch gerade so. Dann gings los, hat er eben gedacht, wenn ich nichts mehr richtig hinkriege, spiele ich halt jetzt meinen eigenen Kram: "Ich bin stolz, stolz, stolz auf mein Nudelholz" und "Eine Frau wie sie", das hatten wir nie richtig als Lieder geplant damals...
Hagen: Alleine, quasi als Liedermacher.
Lippe: Hinter mir standen die ganzen Leute aus Erfurt, die haben gesagt, macht Euch von der Bühne runter, denn ihr macht Euch ja voll zur Feile, wenn ihr oben mit stehen bleibt. Wir haben versucht, Otze anzusprechen, er soll ein normales Lied ansagen, aber er hat uns vollgenölt, warum wir nicht mitmachen. Aber wie soll das gehen, wenn wir das Lied noch nie gespielt haben? Die nächsten Konzerte waren dann immer irgendwelche Ausnahmezustände...das waren eigentlich keine Konzerte mehr, nur, kriegt er es noch hin oder kriegt er es nicht mehr hin, so ist es bei allen Konzerten abgelaufen, die zum Schluss waren.
Hagen: Das waren nicht mehr viele, Bad Langensalza war dann nochmal genau das selbe.
Also war Wandersleben gar nicht das letzte Konzert?
Hagen: Nein, es gab noch dreie, viere danach!
Lippe: Das waren keine richtigen Konzerte mehr, sondern nur so Rumgeeier!
Hagen: Diese Nudelholznummer, die hat er vorher schon eine Woche lang im AJZ geübt, weil er so stolz war, dass er das komponiert hat. "Ich bin stolz aufs Nudelholz".
Das war jenseits schon von Gut & Böse!
Hagen: Ja klar!!!
Mir haben damals drei, vier Fans, die bei dem Konzert in Wandersleben waren, einen Brief geschrieben, daß Otze gar nichts mehr hingekriegt hat.
Lippe: So weit ich mich erinnern kann, waren da auch Erfurter, die dann richtig stinkig waren. "Extra hergekommen, so 'ne Scheisse, da hätte ich auch zu Hause bleiben können oder in Erfurt in irgendeine Kneipe!" Es waren zwar nicht viele aus Erfurt da, so sieben, acht Mann, aber die waren alle komplett enttäuscht gewesen!

Wie viele Leute waren da eigentlich in Wandersleben?
Hagen: So 300! Es war nicht übervoll, aber es war okay.
Wie ging es dann mit SCHLEIM-KEIM weiter, habt Ihr mit Otze über die ganze Sache gesprochen, so geht das nicht?
Hagen: Ging nicht, das war sinnlos!
Lippe: Dann ist die Zeit gekommen, wo er überall mal gewohnt hat, bei jedem drei Nächte gepennt hat, der irgendwelche Drogen in der Hosentasche hatte. Da hat er sich aufgehalten mehrere Tage und wenn du ihn dann getroffen hast, da ging gar nichts. Wenn Du mal runter ins besetzte Haus in der Margarethenstrasse gegangen bist, da ist er Dir entgegengekommen, Schuhe hat er weggeschmissen im Wahn, einen Lappen um die Füße gebunden, damit er nicht in Glasscherben rumtreten muß. Er kam an mit Speer wie ein Indianer und hat sich gefreut wie ein kleines Kind!
Wenn Du ihn angesprochen hast, hat er das gar nicht mehr richtig realisiert, was eigentlich abgeht! Früh um sieben gleich die erste Pulle Sangria an Hals und alles hinein in den Körper, was da rumgekullert ist.
Also, es ging gar nichts mehr!
Lippe + Hagen: Gar nichts!
Ihr hattet also nach Wandersleben noch Konzertanfragen, seid da auch hingefahren, z.B. nach Bad Langensalza...
Lippe: Meine Adresse in der Uelleberstrasse war ja damals die Kontaktadresse von SK, da sind die ganzen Briefe hingekommen mit Auftrittsangeboten. Mindestens einmal in der Woche hat da ein Brief dringesteckt von was weiss ich woher und wenn Du Otze wirklich mal getroffen hast, "bei mir liegen bestimmt noch 20, 30 Briefe rum, wollen wir nicht mal wieder irgendwo einen Gig machen?" "Ach ja, hast Du was zu kiffen dabei?" oder "Haste mal Bier?" Ich hab gesagt: "Wir müssten auch mal wieder proben!" Das hat ihn gar nicht interessiert, Probe, Auftritt, das war alles hinfällig. Die Krönung war dann, wo er mit seiner Schwägerin rumgezogen ist, da sassen wir vorm Rathaus aufm Markt rum - da hatte ich ihn bestimmt ein halbes, dreiviertel Jahr gar nicht gesehen - da kam er an, war ordentlich angezogen, hat 'nen cleanen Eindruck gemacht, ich dachte schon, daß er endlich mal fragt, wann wir wieder was machen und ich meinte: "Eh, Dieter, was ist los, wollen wir mal proben oder 'nen Auftritt machen?" "Ich bin eigentlich nur da, ich wollt' dich fragen, kannst Du mir ein bisschen Speed, Koks oder Heroin besorgen?" Ich sag: "Erstmal nehm ich den Mist nicht, höchstens ein Gramm Shit und selbst das kann ich noch nicht mal besorgen." Und dann meint er: "Dann war das eigentlich alles was ich fragen wollte, sag den anderen einen schönen Gruß, wir hauen wieder ab." Dann ist er mit seiner Schwägerin gegangen, das war sein Auftritt gewesen in Gotha!
Und seine Sachen standen hier noch im Übungsraum!
Lippe: Da stand alles rum.
Es gab ja nie eine offizielle Auflösung von SK!
Lippe: Nee, gab es nicht.
Du bist ja auch mal nach Stotternheim gefahren, um Otze aufzusuchen. Wie sollte man ihn sonst erreichen? Man musste ja hinfahren auf gut Glück, kein Telefon...
Lippe: Es ging ja soweit zum Schluss, dass wir Auftritte hatten, es war gesagt, wir treffen uns dann und da, wir das Auto vollgepackt mit unserem Mist und wer war nicht da, Herr Ehrlich! Wo isser? Biste in die Stadt gefahren, mal dahin, dort, da war er nicht...wenn Du zum Auftritt fahren wolltest, musstest Du ihn erst suchen, bevor Du überhaupt losfahren konntest. Das waren keine Zustände mehr zum Schluss!
Welches war denn der letzte "Auftritt", wo ihr zu dritt hingefahren seid?
Hagen: Ich würde sagen: Langensalza! Allein schon die Hinfahrt war 'ne Katastrophe und was dann vor Ort stattgefunden hat, war noch weniger als 'ne Katastrophe!
Die Fahrt sind ja nur 20 Kilometer, wie lief das ab, beschreib das mal.
Hagen: Es war schon dunkel, es war so wie jetzt die Jahreszeit, so Oktober. Otze wusste genau Bescheid, meinte: "Wir finden das nie, wir finden das nie...", nur weil einer mal nach dem Weg gefragt hat. Nur wer nicht fragt, wird den Weg nicht erfahren. Wir waren dann auf jeden Fall dort, war so ein Jugendklub, nicht besonders gross, vielleicht 100 Leute drin, aber es war gemütlich, kleine Bühne und so. Es war auf jeden Fall nichts, was da von SCHLEIM-KEIM kam.

Was ist nach der Ankunft genau passiert?
Hagen (lacht): Das ist fast 10 Jahre her.
Über 10 Jahre, genaugenommen 13 Jahre!
Hagen: Otze rein, gleich die Pulle angesetzt, war ja klar...und irgendwie auf die Bühne, das übliche, das Gitarrenmanöver, das hat sich sowas von eingebürgert, ich kann doch wenigstens 'ne gestimmte Gitarre dabeihaben oder ich kann sie ja wenigstens stimmen, bevor ich auf die Bühne gehe.
Das war in Chemnitz, Weihnachten '94, schon das Problem, als die Live-CD aufgenommen wurde. Wenn Lippe nicht so geil durchgetrommelt hätte, hätte man das gar nicht rausbringen können. Wie seid Ihr denn mit Otze verblieben?
Hagen: Gar nicht, der war einfach fort!
Lippe: Er ist gekommen, gegangen wie er wollte, die Band hat ihn gar nicht mehr interessiert zum Schluss, aber alles andere! Ein paar CDs, die er irgendwo hatte, hat er verklingelt, um ein paar Mark zu kriegen, schnell wieder das nächste Getränk geholt oder ein Tütchen gebaut...die Platten, die er von Dir hat zugeschickt gekriegt, an denen hat er rumgezerrt, ist bei allen aufgeschlagen, unter der Jacke die Platten, hat rumgehört, hat sie angeboten für 15 DM damals, ach nee, okay, kriegst 'se für 10, ach nee, achte, nee, sieben, na gut sieben, Platte hin und 7 Mark, kannste wenigstens 3 Bier trinken.
Könnt Ihr Euch noch erinnern, wo und wann Ihr Otze das letzte Mal gesehen habt?
Lippe: Ich hab ihn das letzte Mal in Erfurt im AJZ getroffen. Irgendwann nachts stand er plötzlich da, total tütenzu, "Hallo, alles klar, was macht Ihr denn hier?" "Bands angucken", fertig, dann ist er wieder nach drinnen verschwunden....
Und er hat nie mal nach seinen Sachen gefragt?
Lippe: Das hat ihn gar nicht interessiert.
Seine Schwägerin hat mal erzählt, dass ihr seine Gitarren verhökert habt!?
Hagen: Die Gitarre ist gar nicht da, die muss in Stotternheim sein.
Lippe: Die "Schrott" ja.
Hagen: Die "Schrott" und auch die andere schwarze.
Lippe: Welche andere schwarze?
Hagen: Seine richtige. "Schrott" war die Bastelgitarre.
Lippe: Mit der hat er doch nur noch gespielt zum Schluss.
Hagen: Das war "Schrott", mit der hat er die Aufnahmen gemacht, danach hat er noch eine andere gehabt, die ihm so zugelaufen ist. Die hab ich aber auch nicht im Proberaum gesehen, die hat er mit nach Stotternheim gezerrt. Da hat er ja auch sein Tonbandgerätchen und Keyboard zusammengebastelt.
Lippe: Hier war er ja auf der Welle, er wolle Techno machen!
Erzähl doch mal die Geschichte, wo er bei Dir eingebrochen ist! Wann war das denn?
Lippe: Einmal hat gar nicht gereicht! Wenn ich nicht zu Hause war, da ist er hinten ans Fenster gegangen, hat ers nicht aufgekriegt, hat er was genommen und es eingeschlagen! Rein und gepennt drinnen.
Hagen: Das war ganz normal!
Lippe: Ich hab gesagt, ich muss 'ne neue Glasscheibe besorgen, um die Scheisse hier dichtzumachen. "Ja, ja, tut mir ja leid", aber ein paar Wochen später ist es dann wieder passiert und nicht nur einmal!
In dem Buch ist ja das allerletzte Interview mit Otze drin, gemacht 1998 in Erfurt. Das ist jetzt nicht ultra ergiebig, aber Otze muss auch noch kurz vor der Tat kleine Phasen gehabt haben, wo er relativ fit war.
Lippe: Ja, die hat er immer gehabt wenn es ihm richtig schlecht ging. Wenn Du dich jeden Tag zuhagelst bis obenhin, irgendwann sagt der Körper dann, ich hab jetzt erstmal die Schnauze voll. Dann hat er mal 'ne Woche eingelegt, da hat er nur Milch und Kaffee getrunken. Oder ist 'ne Woche nach Stotternheim gefahren, hat sich bekochen lassen und wenn er gemerkt hat, "die Reifen beissen wieder", dann Jacke an und los gings.
Diese Phasen, wo er sich Ruhe gegönnt und nach Stotternheim zurückzogen hat, wurden mit Sicherheit immer kleiner!
Lippe: Auf jeden Fall.

VOR VIELEN TAUSEND JAHREN (1984)

Vor vielen tausend Jahren muß es gewesen sein
da tauchten unsere Vorfahren in die Atmosphäre ein
sie fanden einen Planeten von Giften noch rein
darum sollte dieser Stern ihre neue Heimat sein

Sie hatten alles im Gepäck für eine neue Welt
vom Computer bis zum Atomkraftwerk und genügend Geld
Autos, Häuser, Roboter sollten auch hierher
Flugzeuge für den Himmel und Schiffe für das Meer

DOCH EINEN, DEM GEFIEL ES NICHT WIE MAN SICHS VORGESTELLT
ER WOLLTE NICHT SO LEBEN WIE IN SEINER ALTEN WELT
WOLLTE KEINEN LUXUS, KEINE AUTOS UND KEIN GELD
NUR BLUMEN, WÄLDER UND VIELE TIERE IN SEINER NEUEN WELT

Er zerstörte was sie mitgebracht in einer Explosion
denn das Ende vom Lied kannte er damals schon
es würde das passieren was uns heute bevorsteht
wenn es weiter mit diesem Wahnsinn
wenn es weiter mit diesem Dreck so geht

Der Drang zu sterben
Der Drang zu sterben
Der Drang zu sterben
steckt in jedem Menschen

Und ihr habt auch nicht mitbekommen, dass er zwischen '96 und '98 mehrmals in der geschlossenen Abteilung in der Klapse von Erfurt war?
Lippe: Er war nur noch ganz ganz selten hier, denn in Gotha konnte ihn keiner mehr leiden. Er hat sich's ja bei allen Leuten versaut gehabt!
Hagen: Selbst In Erfurt!
Lippe: In der Stadthalle war mal ein Konzert, wo er mit den zwei "Mokkatassen" ankam...von Vogt hat er die Alte ausgespannt und hat dafür richtig den Wanst vollgekriegt, und auf der Bühne hat er dann erzählt, die Glatzen hätten ihn überfallen.
(Alle lachen!) Zwei solche Klüsen, hammerhart! Da ist er dann mit Sonnenbrille aufgetreten, war ziemlich im Arsch und nach 5,6 Liedern hat er einfach gesagt: "Ich hab gehört, in Erfurt wird das AJZ überfallen, wir fahren alle nach Erfurt!" Da sind die wirklich alle nach Erfurt gefahren. Das muss im Sommer ungefähr '93 gewesen sein.
Es soll aber selbst in der Endphase '95 noch ziemlich gute SK-Gigs gegeben haben. Es gab da einen Auftritt in Potsdam zusammen mit den BOSKOPS.
Hagen: Im Archiv.
Die hätten sogar noch einen Platz frei gehabt und mich mitnehmen können, aber ich habe nicht gedacht, daß ihr dort wirklich spielt. Hinterher hab ich mich total geärgert. Ein paar Tage vorher hat mich einer aus Brandenburg angerufen, ich habe gehört, SK spielen am Wochenende in Potsdam. Ich meinte, das hätte ich bestimmt mitbekommen, aber fahr doch hin, das ist ja nicht weit von Dir. Der hat mich dann Montag oder Dienstag wieder angerufen und meinte, es war der totale Hammer und selbst Video-Olli und Leute von BOSKOPS, die nun wirklich keine eingefleischten SK-Fans sind, waren völlig begeistert und beeindruckt. Wie könnt Ihr Euch an diesen Auftritt noch erinnern?
Hagen: Gut.
Lippe: Wir waren die letzten, die draussen auf der Open-Air-Bühne gespielt haben. Danach wurde alles indoor gemacht.
Es war sicher gut für Otze, mal nicht als letztes zu spielen.
Hagen: Die wollten uns schon als letztes haben aber wegen draussen kam das besser. Und deshalb waren wir draussen die letzten. Das war das "Viva Zapata"-Festival! Da waren auch Zapatisten aus Lateinamerika vor Ort, vor unserem Auftritt hat ein südamerikanischer Ureinwohner eine Rede gehalten! Dem gingen die Leute komplett auf die Eier "Hör uff" und so, der hat versucht, da in gebrochenem Deutsch zu agitieren, es fiel ihm auch schwer, er hat aber seine Rede gemacht.
Otze meinte, lass den mal machen, da werden die Leute schön aggressiv. (allgemeines Lachen!)
Lippe: Wir standen schon auf der Bühne und es war kurz davor, dass wir anfangen zu spielen. Da kam einer an, wartet mal noch ein paar Minuten. Na ja, machste noch'n Bier auf. Alle dachten, es geht gleich los, aber das ging bestimmt 'ne Viertelstunde.
Dann habt Ihr direkt nach dem Redner angefangen und das war nochmal richtig gut.
Hagen: Da war ganz schön was los auf der Bühne.
Lippe: Ich muss auch dazu sagen, dass es da oben nichts anderes gab ausser Bier, vielleicht mal'n Schnaps zwischendurch. Sonst hätte ihn das gleich umgeschmissen. Wenn die verschärften Sachen dazukamen, ist die Umlaufbahn zusammengebrochen!
Wie lief das denn in Chemnitz ab, als die Live-Platte aufgenommen wurde? Als ihr relativ früh ankamt, war Otze noch total fit, SK mal wieder als letztes, dann hatte ich Otze zwei Stunden nicht gesehen und auf einmal konnte er kaum noch stehen.
Hagen: Da langt ein Apfelkommando und haste mal 'ne Fanta oder 'ne Cola, iss egal, weil ich brauche eh nur die Flasche! Und einen Eimer Wasser!
Und dann?
Hagen: Eimer ziehen, lang hin.
Lippe: Er hat Shit mitgehabt und sich den komplett im Backstage reingeraucht. Wir sind dann noch zu MÜLLSTATION rüber in den Nachbarraum, weil bei denen mehr los war.
Hagen: Da war noch 'ne andere Band, LUSTFINGER, waren die nicht dabei?

Nee, das waren SCHLIESSMUSKEL...
Hagen: Wir dachten, was solln das, ein Backstageraum für jede Band, so'n Käse, gehste mal rüber und unterhältst dich mit denen, aber die haben erzählt von Lohnsteuerkarte und irgendwelchen Steuerkram, nee, gehen wir wieder weg hier, das ist nicht unser Gesprächsthema. (lacht)
Und Otze hat sich in Eurem Backstageraum den Eimer reingepfiffen.
Lippe: Gigi war ja auch mit, den hats auch so breitgeschossen, beim Konzert hat er sich hinter mich an die Bühnenkante beim Schlagzeug gesetzt und wollte mir zugucken, da er auch so'n bisschen Schlagzeug spielt, nach dem 3. oder 4. Lied ist er eingeschlafen.
Unglaublich. Dann soll es noch einen Gig - auch relativ spät - in Parchim gegeben haben, zusammen mit TOXIC WALLS.
Hagen: Das war eigentlich ein relativ cooler Auftritt, weil wir so schön dahingefahren sind. Wir haben uns da auch gar nicht zu erkennen gegeben, das Auto um die Ecke abgestellt, hingegangen, "Was ist denn hier los?" "Na ja, wir warten noch, SK sind noch nicht da", wir haben uns komplett inkognito gegeben, haben uns an der Bar abgefüllt und dann haben wir gesagt: "Hallo, es kann losgehen!"
Hat Euch da niemand erkannt?
Hagen: Es kannte uns da keiner!
Lippe: Der an der Bar, dem wirs gesagt haben, muss der Chef gewesen sein.
Da habt Ihr also quasi erstmal mit den Leuten gefeiert und als ihr auf die Bühne gegangen seid, haben die Leute gesehen, daß ihr SK seid!
Lippe. Genau.
Und da war Otze relativ fit.
Lippe: Da war er fit. Aber da waren wir alle ganz schön angeschlagen, dass wir die Lieder nur grob durchgespielt haben, die ganzen Soli sind weggefallen. Wir haben die Lieder angezählt, durchgespielt ohne irgendwelchen Schnickschnack und fertig.
Aber es gab nicht diese Ausfälle von Otze wie z.B. in Chemnitz als für die Live-Scheibe über 10 Lieder weggefallen sind, weil die durch Otzes Ausfälle so unbrauchbar waren, da ging gar nichts mehr weder Gesang noch Gitarre...
Lippe: Nein, nein.
Hagen: Und das ist eben genau die Sache, das hat er nicht mehr mitgekriegt.
Lippe: In Chemnitz hat er hinter der Bühne schon angefangen, die Gitarre zu stimmen, ohne Verstärker. Irgendein Gitarrist von 'ner anderen Band, der stand so daneben mit 'nem Bier in der Hand und hat ihn beobachtet, man, was hat denn der für Schwierigkeiten?...und das Ding war überhaupt nicht gestimmt, null! Und da hat der Typ sein Bier hingestellt und gemeint: "Soll ich sie Dir stimmen?" und er: "Meinst Du, ich krieg das nicht hin oder was?" "Ich beobachte dich doch schon 'ne Viertelstunde!"
Ich kann mich noch gut erinnern, ich stand an der Seite auf der Bühne als es losgehen soll und er schlägt die Gitarre an, die war sowas von verstimmt, da ging gar nichts.
Lippe: Wie wenn neue Saiten draufgezogen (lacht).
Nee, schlimmer, es war grausam. Rialdo von MÜLLSTATION, die haben glaube ich vor Euch gespielt, stand noch in der Nähe und hat sie auf die Schnelle nach Gehör gestimmt. Und Du, Hagen, hast glaube ich auch noch geholfen. Man hört auf der Live-Aufnahme, dass sie immer noch verstimmt ist, aber es ging wenigstens einigermassen.
Hagen: Dann kam noch dazu, dass er ständig auf sein Gitarrenkabel gelatscht ist und das Kabel aus dem Verstärker riss, so dass die Gitarre ausfiel.
Lippe: Ich glaube auch, daß die Buchse hinten an der Gitarre war nicht mehr die beste war.
Was denkt Ihr waren die Gründe, daß sich Otze in diese Richtung entwickelt hat?
Hagen: Ganz einfach, das Zeug war auf dem Markt und dann gings los. Da braucht es keine besonderen Gründe. Es war verfügbar und dann hat er sich das einverleibt. Es war mal eine ganze Zeit diese Technophase, wo es mit den Tabletten und so losging.
Lippe. Eine Pille reichte ihm nicht, gleich dreie, viere, fünfe auf einmal rein.

Hat ihm die Trennung von seiner Freundin Elfi vielleicht arg zugesetzt? Über sie hat er ja zwei Lieder geschrieben, "Sigrun" und "- +" von der "Abfallprodukte". Bei den Aufnahmen in Hannover muss das ganz frisch gewesen sein, er hat mir den Text auch erklärt.
Lippe: Glaub ich nicht. Otze konnte nicht nein sagen! Wenn der irgendwo war, wenn da 5, 6 Punks rumsassen und Bier getrunken haben, hat er mitgemacht. Wenn du das einen Tag machst, ist es in Ordnung. Wenn Du das zwei, drei, vier Tage machst...die anderen im besetzten Haus haben nach 3 Tagen mal 'ne Ruhepause eingelegt. Da war dann da nichts mehr los und dann ist Otze irgendwo anders hingetuckert, da ging es dann da wieder weiter. Es hat das nicht geschnitten, wann die Pause kommt, wann ein Schlußstrich gezogen werden muss. Das ging so lange, bis er nur noch gemerkt hat, daß der Körper sich weigert. Und erst dann war für ihn Schluss, ist nach Stotternheim gefahren oder so. Er hat das nicht bösartig oder mit Absicht gemacht, es war einfach so.
Aber ich glaube, dass es für sein Verhalten doch Gründe gegeben haben muss. Gehörte er nicht zu den Leuten, die sich vielleicht in der DDR wohler gefühlt haben und danach mit der Entwicklung, mit den neuen Freiheiten nicht so richtig klargekommen sind. Kann man das so sagen?
Hagen: Nein. Im Nachhinein, der ganze Stasiärger, das war schon ein hartes Brot, aber hinterher hat man noch sagen können, ich hab mich da gerieben. Ich hab dort Flagge gezeigt, ich hatte den Ärger, ich hab dort und dort gesessen und mich haben sie so und so oft einkassiert. Aber daß man sich zurück oder so, das ist Käse!
Aber im Interview im SK-Buch sagt er doch auch, dann war ich in Düsseldorf, das war alles scheisse, dann bin ich wieder zurück. In der DDR wusste er halt wo seine Grenze ist.
Hagen: Die Mentalität unter der Ost-Bevölkerung die war anders. Da biste ganz normal mit 50 Pfennig inne Kneipe rein, haste deinen Halben getrunken und das ist eben weggefallen.
Lippe: Dieter hat vor der Wende nicht gearbeitet und nach der Wende auch nicht. Wo er kurz nach der Wende das halbe oder dreiviertel Jahr in den Westen rübergegangen ist, das war nicht seine Idee, ich schätze mal, das kam von Elfi.
Nach Hagen im Ruhrgebiet, dann sind sie wieder zurückgegangen.
Lippe: Genau.
Hätte es also in der DDR schon Drogen gegeben, dann wäre das alles schon früher passiert, dadurch daß alles frei zugänglich war.
Lippe: Diejenigen, die ihn das erste Mal gesehen haben, meinten "trinkt der immer so viel"? 10 Bier im Rucksack, das waren zwar 0,3er aber die hat er inner Stunde oder anderthalb Stunden weggehauen.
Ich war mit Otze mal 1993 in Jena beim Konzert MADMANS + KÜCHENSPIONE, SK haben nicht gespielt, aber da hat ihn ein Fan erkannt und nach dem Konzert draussen angesprochen. Fast von einer Sekunde auf die andere hat Otze sich in einen anderen Menschen verwandelt, wurde total aggressiv und hat den total ohne Grund angeschrien. Ich meine, er hat den Ruhm irgendwie nicht verkraftet. Wie seht Ihr das?
Hagen: Das ist ein Machtspiel gewesen. Er konnte sagen, juchhu, du kriegst jetzt ein Autogramm von mir und ich bins, aber er konnte den genauso gut anfahren. Das hat er halt gemacht, so seh ich das. Ich kann mich jetzt entscheiden, schön, daß du mich erkennst, aber ich kann dich genauso gut raustreten. Ich hab die Macht, ich will dir nichts böses, aber ich kann machen was ich will.
Lippe: Ich hab ihn so eigentlich nie erlebt, zu mir war er immer umgänglich gewesen.
Zu mir auch!
Lippe: Ich hab das nie mitgemacht, dass er ausfällig wurde gegenüber Leuten, die ihn erkannt haben.
Hagen: Ich mein das auch nicht generell, aber wenn das so gewesen ist, dann meiner Meinung nach aus dem Grund heraus, weil er's einfach kann.
Lippe: Was er gerne gemacht hat, wenn wir irgendwo gespielt haben, seine Macht hat er eben spielen lassen. Er wollte zeigen, daß er der Kopf von der Band ist und nur was er sagt wird auch gemacht. Als wir auf dem Petersberg in Erfurt gespielt haben, den ganzen Nachmittag schon Freibier getrunken und dann ging die Streiterei mit anderen Bands los, SK war ja verschrien, weil Otze auf der Bühne gerne mal 'nen Verzerrer eingesteckt hat, das war sein Lieblingsspielzeug. Es hiess, ihr braucht nichts weiter mitzubringen außer die Gitarren und die Verschleissteile vom Schlagzeug. Kurz bevor wir auf die Bühne sollten, ging das Geschrei los, die anderen Bands hatten keinen Bock, uns irgendwelche Verstärker zur Verfügung zu stellen, weil sie Angst hatten, daß wieder was fehlt zum Schluss. Da hat Otze ein bisschen diskutiert und dann haben wir gesagt, nee, das war ausgemacht soundso, wenn keiner was bereitstellt, dann spielen wir halt nicht.
Hagen: Das war Veranstalterproblem. Wenn wir gesagt haben, wir bringen nichts mit...
Lippe: Der Veranstalter: "Ich kümmer mich drum, wir lassen erstmal 'ne andere Band spielen und danach seid ihr dann dran." Da war für Otze das Thema aber schon abgetan. Da kam der Veranstalter nochmal rein "Die Backline steht für Euch, ihr könnt spielen, macht Euch auf die Bühne hoch", meint Otze: "Nee, jetzt nicht mehr!" "Ihr seid doch schon bezahlt worden", meint Otze: "Iss mir doch egal!"
Hagen: Das war die "Zähne '91" (Erfurt-Sampler Release-Party, Anm. des Verf.), da gabs kein Geld dafür.
Lippe: Ich weiss es nicht, jedenfalls ist er dann auf die Bühne hochgegangen, hat sichs Mikrophon geschnappt und hat einfach gesagt: "So, SK spielen heute abend nicht mehr!", haben alle sich aufgeregt, "na, wir sind doch 'ne Punk-Band, 'ne Punk-Band kann nicht im Dunkeln spielen": Fertig.
Hagen: Das war eine Riesen-Veranstaltung, da waren bestimmt 1500 Leute.

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